Vortrag von Cristina Perincioli
Die Frauenbewegung und die dann nach demselben Konzept arbeitende Umweltbewegung
haben die Gesellschaft entscheidend verändert. Will man etwas darüber
erfahren, wie ein Modernisierungsschub initiiert wird, lohnt es, den Beginn
der Frauenbewegung zu kennen - was zuallererst heisst, ihn ausreichend dokumentiert
zu finden. Zählt man die ganze Literatur über die Entstehung der neuen
Frauenbewegung in Deutschland zusammen, ergeben sich kaum 200
Buchseiten (1996), und die sind fast durchweg von Frauen geschrieben, die die
feministische Bewegung selbst nur aus Publikationen kennen.
Deshalb begann ich, meine eigenen Erinnerungen dazu
aufzuschreiben und die von 30 Berliner Aktivistinnen, die ich zur Entstehung
des Frauenzentrums und der Lesbenbewegung befragte.
Unterstützt wurde die Arbeit durch ein Stipendium des Förderprogramms
Frauenforschung der Senatsverwaltung für Arbeit, berufliche Bildung und
Frauen (1996).
Warum dauerte es so lange, bis der Tomatenwurf (1) endlich Wirkung zeigte?
Vom ersten Protest der SDS-Frauen - dem Wurf der Tomaten - bis endlich Frauenzentren,
Frauenprojekte, eine selbständige Bewegung entstand, dauerte es immerhin
fünf Jahre. Dabei hatte es doch so rasant begonnen mit Aktionsräten,
Kinderläden und vielen Arbeitsgruppen. Was in welcher Reihenfolge passierte,
will ich am Beispiel der Entwicklung in Berlin verdeutlichen:
1968 Tomatenwurf und Spaltung der 68er Bewegung in
KPD,
DKP und Undogmatische Basisgruppen
1969 Auflösung des Aktionsrats zur Befreiung der Frauen 1970 Sozialistischer
Frauenbund Westberlin (SFB)
Anarchistinnen:
Frauenfront, Militante Panthertanten, Frauenkommune
1971 Frauenfilme, Schwulenfilm, §218 Selbstbezichtigungsaktion
1972 Lesben + Schwule: Homosexuelle Aktion Westberlin (HAW)
1973 Lesben + Heteras: Frauenzentrum Berlin
Die Frauenbewegung wird gern als Produkt der 68er Bewegung gesehen. Tatsächlich
stand der grösste Teil der Linken feministischem Politikverständnis
entschieden feindlich gegenüber. Die erbitterte Abgrenzung zwischen sozialistischer
und feministischer Frauenbewegung erklärt sich aus diesem gegensätzlichen
Politikverständnis. Wie kam es dazu?
1968 wurde die 1956 verbotene KPD wieder zugelassen - diesmal als DKP. Gretchen
Dutschke schreibt heute: "Rudi Dutschke glaubte, dass die Regierung damit
einen Zweck verfolgte. Die neue Partei sollte einen Teil der sich auflösenden
APO schlucken und die Jusos einen anderen, um zu verhindern, dass autonome,
sozialistische Positionen weiterlebten"(2 ) - und genau das geschah. Die
DKP absorbierte mit ihren 100.000 Mitgliedern den grössten Teil des oppositionellen
Potentials. Dagegen formierten sich die maoistischen Gruppierungen: KPD/ML,
KPD, KB und später der KBW. Diese Gruppen rangen um die Anerkennung durch
Mao, während die Orthodoxen der DKP zum Warschauer Pakt hielten und Sprachrohr
der DDR-Führung in Westdeutschland wurden.
In diesen auf Weltpolitik und Weltrevolution ausgerichteten Gruppen hatte die
Frauenfrage keinen Platz mehr. Hier, wo die ”Revolution auf der Tagesordnung"
stand - das ist ein Zitat -, waren Disziplin und Unterwerfung gefragt.
Szene aus "Die Satansweiber vom Tittfield" von Russ Meyer, 1967
(Originaltitel: "Faster Pussicat! Kill! Kill!" 1967)
Wer damals trotzdem Frauenfragen stellte, z.B. Frauenfilme realisierte wie Helke
Sander, Elsa Rassbach und ich, wurde in öffentlichen Sitzungen richtiggehend
niedergemacht. Die Tatsache, dass die Kamerafrau Gisela Tuchtenhagen und ich
69 als reines Frauenteam arbeiteten, brachte uns an der Filmakademie den Spitznamen
ein: ”Satansweiber vom Tittfield" - Titel eines Films von Russ Meyer.
Wir zwei autonom arbeitende Filmstudentinnen wurden von unseren linken Kommilitonen
mit jenem Trio sexbessener männermordenden Dominas gleichgesetzt.
Der Vorwurf der Genossen: wir spalteten mit Frauen-Themen die Arbeiterklasse
und dienten damit der Reaktion. Unter diesem Druck brachen heftige Richtungskämpfe
auch im Aktionsrat zur befreiung der Frauen aus, und Ende `69 wurde er aufgelöst.
Jene Frauen des Aktionsrats, die sich einer Schulung unterziehen wollten, gründeten
dann den Sozialistischen Frauenbund SFB. In ihrem Selbstverständnis versicherten
sie 1970:
"Wir organisieren uns zunächst separat als Frauen, um in theoretischer
Arbeit die Ansatzpunkte zur spezifischen Frauenagitation herauszufinden. Wir
sehen dies als Voraussetzung, um unter der Führung der Kommunistischen
Partei unsere Aufgabe im Klassenkampf zu übernehmen.” (3)
Der damals schon gängigen Parole "Frauen gemeinsam sind stark"
setzten sie hinzu "Frauen und Männer gemeinsam sind stärker".
Valerie Solanas (Foto: Rücken von »Manifest zur Vernichtung der Männer,
März Verlag, Darmstadt 1969)
Nur eine Handvoll Frauen widersetzten sich diesem Trend. Unter dem Namen "Frauenbefreiungsfront"
meldeten sie sich kurz darauf in der Zeitung »883« zu Wort:
"Viele Frauen protzen damit, auf einen Parteiexpress aufgesprungen zu sein,
ohne zu merken, dass die alte Kiste erst elektrifiziert werden muss, bevor sie
abfahren kann. Statt Kampf haben sie Sicherheit gewählt..
Wir bekämpfen die Hierarchie, die Herrschaft von Menschen über Menschen.
Dieser Kampf ist nur uns Frauen möglich, weil auch der unterdrückteste
Prolet immer noch Unterdrücker seiner Frau und Kinder und jedes Mädchens
auf der Strasse bleibt.(...)
Andere Genossinnen verhärten sich bei dem Versuch, sich allein durch Akkumulation
von Wissen gegenüber den Männern zu behaupten (..) Aber es gibt auch
Frauen mit einem duften Selbstbewußtsein, die zusammen was machen wollen.
Wo bleibt die Weiberbande? Was ist mit Euch los? Wenn ihr die Sachen drauf habt,
müsst ihr sie auch machen. (...)
Die Frauenbefreiungsfront wird in enger Zusammenarbeit mit den Genossinnen und
Genossen in den verschiedenen Basisbereichen Aktionen planen und ausführen
und Zellen in der ganzen Stadt aufbauen. Sie wird aus dem Dunkel geräuschlos
auftauchen, zuschlagen und wieder verschwinden."
REVOLUTION BIS ZUM SIEG.
MÄNNERGEWALT BEKÄMPFEN HEISST,
DEM VOLKE DIENEN.”
Sie gestalteten eine Doppelseite mit Bildern und Texten ihrer Leitfiguren: Leyla
Chaled an der Schreibma-schine, Emma Goldmann (Anarchistenführerin in den
USA zum Beginn des Jahr-hunderts), Valerie Solanas, die Bilder einer blutüberströmten
Studentin, einer Afrikanerin, einiger Viet-namesinnen und verschiedener Comicfiguren,
u.a. Barbarella.
Leyla Khaled (Foto aus ”Wild + Zahm - die siebziger Jahre, S. 36 ohne Quelle,
Elefantenpress, Berlin 1997)
Frauenkommune Cosimaplatz
Bald nach dem Aufruf der Frauenfront bildeten vier Frauen die Frauenkommune
Cosimaplatz:
Verena Becker und Angela Luther kamen aus der Basisgruppe Spandau. Dort hatten
sie gemeinsam ”Das Manifest zur Vernichtung der Männer" von Valerie
Solanas gelesen und Aktionen zum § 218 gemacht: Buttersäure und Sprühaktionen
gegen Gynäkologen, die Frauen vergewaltigten.
Titelseite von »Manifest zur Vernichtung der Männer", März
Verlag, Darmstadt 1969)
Wie in anderen Kommunen, hatten auch wir die Matratzen in einem Raum zu einem
grossen Bett zusammengelegt, worin wir alle schliefen. Die WG hatte etwas von
einem grossen Nest - schon durch den starken und vertrauten Geruch beim Betreten
der Wohnung. Wir kochten und aßen, verbrachten ganze Tage und Nächte
zusammen. Es herrschte eine innige Zärtlichkeit: mit Verena konnte man
raufen, mit Angela küssen und das bei jeder Begegnung in der Wohnung, bis
ich Angela eines Nachts verriet, dass ich lesbisch sei. Ich weiss noch, wie
sie im Dunkeln erstarrte und schliesslich meinte: jetzt kann ich dich ja gar
nicht mehr küssen.
Verena erinnert die Zeit so: "Wir haben auch so nette Sachen gemacht, wie
hinter Typen herfahren und pfeifen - Fenster auf, und offen angemacht, bis die
Angst bekamen und wir immer hinterher, >Ach Kleener, brauchst doch keine
Angst haben!< Ich hatte och so einen Django-Hut uff, hat einfach Spass gemacht."
Aufkleber der Panthertanten
Täglich übten wir auf Klautouren kriminelle Fertigkeiten, Umsicht
und Kaltblütigkeit, die wir für militante Aktionen brauchten. Dann
hielten wir Ausschau nach Zielen, an denen mittels direkter Aktion Missstände
verdeutlicht und Widerstandswille demonstriert werden könnten. Unsere Phantasie
beflügelten Filme wie "Die glorreichen Sieben” oder die ”Sieben
Samurai". Wir diskutierten und schrieben nicht, unser Medium war "die
Tat" - die Presse unser Vervielfältigungsapparat. Und das weibliche
Publikum war begeistert - auch unpolitische Frauen liessen sich hinreissen von
dem Kitzel, dass es in der Stadt Frauen gab, die zuschlugen. Heute sehe ich
darin eher missionarische Überheblichkeit. Doch Militanz erfüllte
für uns Frauen noch einen anderen Zweck: wir probten ein neues Rollenverständnis.
Wir zeigten: Frauen hören auf zu lächeln, zu bitten und Verständnis
zu üben - sie zeigen Zähne. Wir lernten Karate und sahen uns schon
nach der ersten Lektion in eine Kneipenschlägerei verwickelt.
Foto: Cristina Perincioli
Die Vorbilder waren nicht Bakunin, Marx, Bebel, Engels, Lenin, Mao, Simone de
Beauvoir oder Betty Friedan, sondern die Black Panther.
Ihr Programm: Aufhören mit Jammern und Erdulden. Statt dessen Stolz und
Würde wiedergewinnen. Die Entschlossenheit, sich nicht mehr erniedrigen
zu lassen, öffentlich zeigen. Ihre Mitglieder patrouillierten im Ghetto
bewaffnet und uniformiert zum Schutz gegen die Übergriffe der weissen Polizei.
Gleichzeitig schulten sich die Mitglieder in ihren Grundrechten und in Rechtshilfe,
damit sie bei einer Konfrontation mit der Polizei dieser keinen Vorwand für
eine Verhaftung lieferten(4). Es war diese Mischung aus strikt legalem Vorgehen
und mutigem, selbstbewusstem Auftreten, was sie in kurzer Zeit zu Symbolen schwarzer
Würde und Hoffnung machte.(5 )
Ihre Inspiration bezogen die ”Black Panther” aus dem Buch ”Die
Verdammten dieser Erde”, in dem der Psychiater Frantz Fanon auf Grund seiner
Erfahrung im algerischen Freiheitskrieg die selbstzerstörerischen Mechanismen
von Unterdrückten beschrieb: Wenn einer unterdrückten Gruppe die Identität
geraubt und ihr die Kultur der Unterdrücker oktroyiert wird, verliert sie
ihre Selbstachtung. Die Folge sind Minderwertigkeitsgefühle, Selbsthass,
unnatürliche Unterwürfigkeit, Autoritätskomplexe, sexuelle Neurosen.
So zugerichtet, lenkt diese Gruppe Wut und Frustration nicht gegen die Unterdrücker,
sondern gegen sich selbst.
Also müssten wir Frauen auch erst mal ein eigenes Bewusstsein, eine eigene
von Männern unabhängige Identität entwickeln und lernen, mit
Frauen solidarisch zu sein.
Heute scheinen das banale Erkenntnisse, untrennbar mit der autonomen Frauenbewegung
verbunden. Für sozialistische Frauen, die die marxistisch ökonomischen
Befreiungstheorien vertraten, war das aber die reine Ketzerei.
Mich faszinierte, dass bei den Black Panther direkt und in menschlichen Dimensionen
gehandelt wurde. Wohingegen hier die ehemaligen Rebellen in Kaderparteien warteten,
bis das Proletariat sich dazu bequemen würde, die Führung der Revolution
zu übernehmen. Zehntausende Linker verbrachten so die Jahre ab 69.
Andererseits waren die Black Panther auch nicht wie wir ein loser Haufen "Panthertanten"
oder "Hasch-rebellen", Leute ohne Basis und innere Verpflich-tungen.
Also suchte mir ebenfalls eine Basis und trennte ich mich von Verena, die sich
dann dem 2.Juni anschloss und von Angela, die untertauchte, da man sie eines
Bankraubs verdächtigte.
Frauenfilm
Mit Max Willutzki drehte ich einen Dokumentarfilm über die Verhinderung
einer Exmittierung im Märkischen Viertel und schloss mich dem Mieterrat
an. Dort redeten nur Männer - Frauen schwiegen und strickten - und beschlossen
eines Tages ein Go-In im Bezirksamt und der Wohnungsbaugesellschaft. Als es
losging, war kein einziger Mann da - die Frauen mussten es alleine tun. Sie
stürmten in die Büros und trugen ihren Forderungskatalog mit einer
Eloquenz und Verve vor, die ich in diesen Frauen - die ich ja nur als stumme
Strickerinnen kannte - nie vermutet hätte. Sie waren stark, laut, wütend
und einig. Ich war tief beeindruckt, einen solchen Auftritt von Frauen hatte
ich noch nie gesehen, nicht ein-mal im Film.
Es gab sie also doch: kämpferische Frauen! Mit diesen Frauen wollte ich
mei-nen Abschlussfilm drehen, aber nicht nur das, wir würden ihn auch gemeinsam
entwickeln: ein Sprachrohr für diese tollen Frauen, die bisher nie zu Wort
gekommen waren!
Frauenfilmteam
Einige Frauen aus dem Mieterrat begeisterten sich für diese Idee und trafen
sich nun den ganzen Sommer 71 jeden Sonntagnachmittag mit mir im Märkischen
Viertel und entwickelten gemeinsam eine Geschichte. Eine Gruppe Verkäuferinnen
fordern gleichen Lohn und treten in einen wilden Streik - soweit das linke Schema.
Das besondere aber war: Wir zeigten, wie Frauen überwinden, was sie trennt,
wie sie über persönliche Gespräche solidarisch werden können.
Im Herbst drehten wir dann den halbstündigen Spielfilm "Für Frauen
- 1. Kapitel", der bei den Oberhausener Kurzfilmtagen den ersten Preis
erhielt und im Fernsehen mehrerer Länder ausgestrahlt wurde. "Für
Frauen 1.Kapitel" ist humorvoll und frech. Linke Filme waren damals durchweg
stur, dröge und pathetisch: in der Regel endeten sie mit roten Fahnen und
dem Absingen der "Internationalen".
Wie reagierten die linken Männer? Sie machten mich nieder: Spaltung der
Arbeiterklasse, befanden meine Kommilitonen und der extra dazu eingeladene Arbeiter.
Vergeblich hatte der linke Filmemacher Max Willutzki zuvor versucht, den Frauen
Bange zu machen: hatte jede einzeln besucht und ihr mitgeteilt, ich sei lesbisch.
Ein linker Arbeiter, Ehemann einer der Frauen, schrieb an den Direktor der Filmakademie,
dass das Filmprojekt gestoppt werden müsse, da ich ja "keine richtige
Frau sei". Doch für die Frauen machte mich das umso interessanter;
ihre sexuellen Erfahrungen in der Ehe und mein Anderssein bildeten ein Hauptthema
unserer "Quatschgruppe", die übrigens noch lange nach dem Film
weiterbestand. Diese erste Zusammenarbeit hatte die Frauen so beflügelt,
dass sich die eine scheiden liess, trotz sieben Kindern, und eine andere mit
drei Kindern das Abitur nachmachte und ein Studium begann.
So positiv unsere Zusammenarbeit war, ich wusste: was wir brauchten, war ein
Ort, wo diese Frauen von sich aus hingehen können, ein öffentlicher
Raum für Treffen, für Diskus-sionen unter Frauen - ein Frauenzentrum
eben. Doch bis dahin sollte es immer noch ein langer Weg sein.
Beide Seiten
Um verständlich zu machen, wieso der Weg zu einem Frauenzentrum so lang
war, möchte ich hier kurz die geistige Verfassung der Linken der 70er Jahre
in Erinnerung rufen. Die Teilung der Studentenbewegung in dogmatische und undogmatische
Fraktionen war auch an der Sprache ablesbar. Dies soll die folgende Gegenüberstellung
in aller Kürze deutlich machen:
»Unterordnung des Einzelnen unter die Partei, Unterordnung der unteren Ebene unter die höhe-re, Unterordnung der gesamten Partei unter das Zentralkomitee« (KPD Statut) | »Werdet wild und tut schöne Sachen. Have a joint. Alles, was Ihr seht und es gefällt Euch nicht, macht es kaputt. Habt Mut zu kämpfen, habt Mut zu siegen.« |
»Kommunistische Partei Deutschlands« | »Zentralkomitee der umherschweifenden Haschrebellen« |
»Rote Garde« | »Rote Hilfe« |
Zentralorgan »Rote Fahne« | »Hundert Blumen« |
»Sozialistischer Frauenbund Westberlin« | »Sozialistischer Frauenbund Westberlin« »Brot + Rosen« |
Die Statuten der maoistischen KPD liessen keine Zweifel
daran, dass persönliche Befreiungswünsche, wie z.B. die Frauenbefreiung
im Kampf um die Macht nur stören würden. Auch einem Schwulen, der
sich als solcher zu erkennen gab, beschied die KPD-Leitung: "Genosse, du
musst verstehen, du bist ein Nebenwiderspruch". Ohne sichtbare Ergebnisse
zu hinterlassen, lösten sich all die maoistischen Parteien nach etwa zehn
Jahren wieder auf.
Die "Spontis” oder "undogmatischen Gruppen” stellten dagegen
weiterhin alle Autoritäten (auch die marxistischen) in Frage, bildeten
militante Zellen, Betriebs- und Stadtteilgruppen. Diese halfen den Menschen
im Stadtteil, ihre Rechte wahrzunehmen und lernten dabei die Lebensverhältnisse
weniger privilegierter Schichten kennen. Gleichzeitig erweiterten sie das verengte
Berufsverständnis, wie es an der Uni gelehrt wurde. Es blieb aber eine
Bewegung von oben nach unten, von Akademikern an die Betroffenen herangetragen;
so lösten sich die meisten Gruppen ebenfalls nach wenigen Jahren auf.
Grössenverhältnis der Fraktionen
(nach Gerd Langguth, "Protestbewegung: Entwicklung - Niedergang - Renaissance.
Die Neue Linke seit 1968, Bibliothek Wissenschaft und Politik Bd.30, Köln
1983)
1973, zur Zeit der Gründung der ersten Frauenzentren, verfügten die
o DKP und deren Unterorganisation über 100.000 Mitglieder
o 12.000 Linke waren in maoistischen K-Gruppen organisiert
o lediglich 5.000 Linke waren undogmatisch, und damit antiautoritär geblieben.
Aus diesem winzigen Rest rekrutierte sich die feministische Bewegung.
Selbstorganisation
Aus heutiger Sicht erscheint der Schritt zur Selbstorganisation als Selbstverständlichkeit,
- ja warum nicht früher, könnte man fragen, warum erst dann?
Noch mühten sich Frauen in gemischten Stadtteilgruppen um einen angemessenen
Platz für ihre Belange, für Frauenpolitik - während Lesben sich
bereits frei fühlten vom Rechtfertigungsdruck durch linke Genossen. Sie
ließen sich mit dem Vorwurf des "Separatismus" und der "Spaltung
der Arbeiterklasse" nicht mehr zurückholen. So waren es denn die Lesben
und Schwulen, die als Erste den Mut fanden, sich in eigener Sache zu organisieren;
das begann im November 71.
Rotlichtmilieu
Wie erklärt man Jüngeren heute, wie Lesben und Schwule vor der Befreiung,
der Selbstorganisation lebten?
Nur wer in einer Grossstadt lebte, konnte die versteckten Zirkel und Bars finden,
in denen Mann oder Frau sich traf. Für uns Lesben in Berlin gab es das
Sappho - ein versteinerter Ort. Da wurde ”Rollengetue" gepflegt, nur
Paartanz war erlaubt, tanzten wir offen, flogen wir raus. Trugen wir ein Fatach-Tuch,
flogen wir raus. Einmal wehrten wir uns gegen die männlichen Voyeure -
sogleich er-schienen Rausschmeisser, die alle aufmüpfigen Lesben hinausprügelten.
Wir waren das Schlusslicht im Rotlichtmilieu.
Krankheit
Kontaktanzeigen akzeptierte nur die Zeitung ”Der Telegraf", und nur
mit Formulierungen wie ”sportliche Freundin sucht Gleichgesinnte”,
das Wort ”lesbisch” war nicht erlaubt.
Suchten wir Literatur, fanden wir lediglich Beschreibungen vom "Krankheitsbild
Homosexualität".
In Filmen sahen homosexuelle Männer sich als Schwuchteln und Lesben als
KGB-Monster (”James Bond") oder sadistische Massenmörderin (”Modesty
Blaise"). Der Film "Infam" von William Wyler mit Shirley MacLaine
und Audry Hepurn 1962 war der infamste: Eine Lehrerin kommt in Verruf les-bisch
zu sein; im Laufe des Kampfes gegen das Gerücht dämmert ihr und auch
dem Zuschauer, daß sie vielleicht wirklich lesbisch fühlen könnte.
Als Konsequenz nimmt sie sich das Leben.
Ich sah den Film als 16jährige und wusste nun: ich war nicht nur krank,
sondern verrückt und meine Lebensperspektive - Selbstmord.
Recht auf Widerstand
Doch dann kam die 68er Revolte und mit ihr die Überzeugung, dass jede und
jeder ein Recht auf Widerstand gegen die eigene Unterdrückung habe. Angefangen
hatte unsere Empörung mit Vietnam und Persien, dann entdeckten wir auch
in unserer Umgebung Missstände. Nun muckten die Frauen auf, erklärten
das Private für politisch. Als Filmstudentin drehte ich damals Dokumentarfilme,
in denen zum ersten Mal Strassenkinder, Rocker und Knackis zu Wort kamen. Diese
unbeschreibliche demokratische Aufbruchstimmung verlangte, auch in eigener Sache
ein Coming Out zu wagen, jener Gruppe von Unterdrückten endlich eine Stimme
zu geben, zu der ich selbst gehörte.
Film
Ich begann zu recherchieren. Mein Dozent, Klaus Wildenhahn, unterstützte
mich, meinte aber, wir müssten Helke Sanders Meinung zu dem Projekt einholen;
sie war ja eine Autorität in Frauenfragen. Helke Sander tat mein Projekt
"Schwulenfilm" als "luxurierend" ab; ich solle mich besser
den wirk-lichen Problemen der Frauen zuwen-den.
Der kleine Vorfall zeigt exemplarisch den Zustand der Linken um 1970: Die persönliche
Befreiung - wie die Befreiung als Frau wurden als ”kleinbürgerlich"
gegeißelt, in meinem Fall gar als ”luxurierend".
Rosa von Praun-heim hatte da als selbstbewusster Aussenseiter und umgeben von
Gleichgesinnten bessere Chancen. Im Jahr darauf zur Berlinale 71 präsentierte
er den Film "Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Gesellschaft
in der er lebt", der dann den Start-schuß für die Schwulen-bewe-gung
in Deutschland gab.
Kultur
In den 70ern hatte Kultur noch eine mobilisierende Funktion, die Konzerte und
Tourneen der Flying Lesbians sind ein Beispiel dafür. Auch Filme konnten
Bewegung bringen: Nach einem Film blieb damals das Publikum noch zusammen, um
zu diskutierten, wie es weitergehen sollte, was man ändern könnte
und wie.
Ich erinnere mich noch genau, wie ich an diesem Augusttag nach der Premiere
von Rosas Film vor dem Kino stand, in einer Menge schwuler Männer, die
heiss diskutierten und gerade dabei waren, sich zu organisieren. Als Frau konnte
ich dort nicht mitmachen, aber unterstützen wollten sie mich schon.
Zettel
Es erforderte Mut, im "Sappho” für eine Organisierung der Lesben
zu werben. Aber es musste in der "Höhle des Löwen" sein,
wo sonst würden wir - eine Handvoll Freundinnen - andere Lesben finden?
Da wir wussten, dass uns Zettelverteilen Lokalverbot einbringen würde,
hatten wir winzige Flugblätter gedruckt, so klein, dass man sie in der
geschlossenen Hand verbergen und sie so im Lokal unbemerkt weitergeben konnte.
Auf dem Zettel stand ein einziger Satz und Ort und Zeit unseres ersten Treffens.
Matratzen im Lesbischen Aktionszentrum
Im März 72 waren wir schon an die Hundert Frauen und bezogen mit den schwulen
Männern unser neues Kommunikationszentrum, eine verrottete Fabriketage
in einem Hinterhof in der Dennewitzstrasse in Schöneberg. Ein Dreivierteljahr
später im Herbst 72 initiierten wir - die Lesben - dann das Frauenzentrum
in Berlin.
Ausschnitt vom Plenum im Frauenzentrum Foto: Cristina Perincioli
Auf diesem Bild ist nicht allzuviel zu erkennen; nur dass wir alle am Boden
sitzen, was im Nachhinein bedeutsam erscheint: die Linken reproduzierten sich
in der Hauptsache über Papiere - ”Papers" - wie man das damals
nannte. Dazu brauchten sie Tische. Tische brauchten sie auch für die Schulung,
denn die lief ja ebenfalls über ”Papers" und die bekannten blauen
und roten Bände.
Nur die Anarchistinnen hatten immer auf Matratzen getagt; mit Matratzen richteten
sich auch die Lesben ein, und so auch das Frauenzentrum. Meines Erachtens zeigt
eine Gruppe damit an, dass sie in ihrem Raum keine Hierarchie aufkommen lassen
will. Alle sitzen auf derselben Basis, eine Basisbewegung eben.
Bürgerinitiativen lernen von der Frauenbewegung
Wie es dann mit der Frauenbewegung weiterging, braucht hier nicht erläutert
zu werden; aber sie lieferte Modelle für eine folgende, noch grössere
Emanzipationsbewegung: Die Bürgerinitiativen. Vorab ein paar Zahlen zur
Grösse:
1977 gab es etwa 1000 Bürgerinitiativen mit über 300.000 Mitgliedern
allein im BBU (Bundesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz), 1980 waren
nach Angaben des Bundesumweltamtes 5 Millionen Bürger in 11.238 regionalen
und 130 überregionalen Umweltschutzgruppen organisiert.(6)
Die erste grosse Bügerbewegung begann mit dem Widerstand gegen das Atomkraftwerk
Wyhl. Dieser formierte sich 1974 - und zwar ganz ohne Anleitung durch linke
Parteien - aus der Bauernschaft heraus: also eine von Betroffenen organisierte
Bewegung.
In einem Kursbuchartikel untersuchen Thomas Kuby und Christian Marzahn die Unterschiede
zwischen Bürgerinitativbewegung und APO. Ich nutze hier die von ihnen herausgearbeiteten
Charakteristika der Bürgerbewegungen und stelle die These auf: Die Anti-Atom-
und alle folgenden Bürgerinitativen realisierten sich entlang der Strukturen,
die nicht die APO, nicht die Linken, sondern die Frauenbewegung in den Jahren
zuvor aufgebaut, erprobt und verteidigt hatte, nämlich:
• Basisdemokratie
Autonomie statt Befehlshierarchie
"Demokratische Kommunikations- und Entscheidungs-strukturen. Es gibt keine
formalisierten, hierarchischen Befehlskompetenzen oder Unterord-nungsgebote
und daher auch keine Denkverbote, keine Selbstzensur"(7).
• Meinungsvielfalt
Gemeinsame Ziele statt einheitlicher Linie: "Einigkeit im Ziel ... ansonsten
Vielfalt der Meinungen. Bürgerinitativen verzichten darauf,...einen einheitlichen
politischen Standpunkt durchzusetzen"(8).
• Selbstbildung statt Schulung
Lerninhalte erwachsen aus den Lebensinteressen der Lernenden. Die Antiatombewegung
wurde zur umfassendsten "Volks-Schulung" der deut-schen Nachkriegsgeschichte.
• Aufklärungsbewegung
"APO und Bürgerinitiativen sind Aufklärungsbewegungen. Sie durchbrechen
und zerstören Denktabus. Sie machen Geheimes offenbar - z. B. die Katastrophenpläne."(9)
Das gilt noch mehr für die Frauenbewegung: mit Selbstentblössung und
Selbstbezichtigung, beispielsweise der Abtreibung im Fernsehen, durch öffentliches
Sprechen über Missbrauchs- und Gewalterfahrungen, durch die Gründung
von Frauenhäusern und Notrufen, zerrte sie unhaltbare Zustände ans
Licht und brach jahrhundertealte Tabus.
Zusammenfassend lässt sich sagen: Frauenbewegung wie Bürgerinitiativen
können als spätes Echo auf die antiautoritäre Studentenrebellion
von 1968 gesehen werden. Nicht aber als direkte Folge; denn nach der Rebellion
wandte sich ein Grossteil der Linken zurück in hierarchische, autoritäre,
dogmatische Gruppen. Diese Strukturen saugten rebellisches Potential auf und
erstickten es.
Frauenbewegung und Bürgerinitiativen mussten noch mal ganz von vorne beginnen:
sie setzten bei ihren eigenen Belangen an und schufen erfolgreich ein neues
Politikverständnis.
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Fussnoten:
1) Beim SDS Kongress
in Frankfurt bewarfen Frauen die männliche SDS Führung mit Tomaten.
2) Gretchen Dutschke, Wir hatten ein barbarisch schönes Leben, Köln
1996, S. 232
3) Pelagea, Heft 2, Berlin, 1971
4) Die Black Panther Party for Self-Defense wurde von Huey P.Newton und Bobby
Seal im Oktober 1966 in Californien gegründet. Im Gegensatz zur ”Black
Power”, die sich als ”Bewegung” verstand, war dies eine zentralistisch
geführte Partei mit strengen Regeln. Diese waren auch nötig, denn
sie agitierte weder an den Hochschulen noch im in der ”schwarzen Bourgeoisie”,
sondern im schwarzen Getto.
5) Einer Umfrage vom Mai 1970 zufolge, flössten sie 64% der Schwarzen ein
”Gefühl von Stolz” ein. Der Spiegel, 22.März 1971. S.119
6) nach Gerd Langguth "Protestbewegung Entwicklung - Niedergang - Renaissance
Die Neue Linke seit 1968 Bibliothek Wissenschaft und Politik Bd.30, Köln
1983
7) Thomas Kuby / Christian Marzahn: Lernen in Bürgerinitiativen gegen Atomanlagen,
Kursbuch 48, Berlin 1977, S. 161
8) ebenda, S. 168
9) ebenda, S.161